Das „Handy“ im Straßenverkehr – Digitalisierung und Recht erfordern neue Wortschöpfungen: OLG Hamm entdeckt „Negativfunktion“ eines iphone – ein Beitrag zur Digitalisierung in der Welt der Juristen

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imagesDem OLG Hamm ist die Schöpfung des Wortes „Negativfunktion“ eines „Handys„, hier eines iphone, zu verdanken (Beschluss OLG Hamm vom 29.12.2016, 1 RBs 170/17- juris). Was hat das OLG zu dieser Wortschöpfung veranlasst? Wer ein Fahrzeug führt, darf ein Mobil- oder Autotelefon nicht benutzen, wenn hierfür das Mobiltelefon oder der Hörer des Autotelefons aufgenommen oder gehalten werden muss (§ 23 Abs. 1a StVO). Zu der Frage, was denn ein „Benutzen“ in diesem Sinne ist, gibt es eine unfassbare Masse an Entscheidungen. So ist bereits entschieden ist, das sowohl das Ein- als auch das Ausschalten eines „Handys“ ein Bennutzen ist. In dem von dem OLG zu entscheidenden Verfahren ging es aber darum, dass der Betroffene bei seinem iphone nur den „home-button“ gedrückt haben wollte, um sicherzustellen, dass das „Handy“ ausgeschaltet war. Das OLG sah auch diese Handlung als Benutzen im Sinne der StVO an. Das OLG wörtlich:

Auch bei der von dem Betroffenen nach seiner Einlassung durchgeführten Kontrolle des „Ausgeschaltetseins“ handelt es sich um eine Benutzung des Mobiltelefones. Der Home-Button des Mobiltelefones dient in eingeschaltetem Zustand in seiner bestimmungsgemäßen aktiven Funktion unter anderem dazu, das mit einem verdunkelten Bildschirm im Ruhezustand befindliche Telefon „aufzuwecken“ und die Bildschirmanzeige zu aktivieren. Gleichzeitig ermöglicht er dadurch eine Kontrolle, ob das Handy ein- oder ausgeschaltet ist. Dementsprechend ist er mithin zur Erfüllung dieser letztgenannten ebenfalls bestimmungsgemäßen Nutzungsfunktion auch in ausgeschaltetem Zustand in der Lage, da der weiterhin verdunkelt bleibende Bildschirm die zuverlässige Information liefert, dass das Gerät tatsächlich ausgeschaltet ist. Es handelt sich letztlich um eine Art „Negativfunktion“ des ausgeschalteten Gerätes, deren Abruf allerdings nach Bewertung des Senats ohne Weiteres als Benutzung des Mobiltelefones bzw. seiner Funktionen anzusehen ist.“

Es liegt dem Verfasser als Wirtschaftsjurist und Steuerrechtler fern, die Entscheidung des OLG inhaltlich zu bewerten. Bemerkenswert ist aber an der Entscheidung und an unserem Recht folgendes:

  1. Es sollte außer Frage stehen, dass das Autofahren die volle Aufmerksamkeit des Fahrers erfordert. Warum es so viele Entscheidungen über eine Selbstverständlichkeit gibt („Finger weg vom „Handy“), ist schon frappierend.
  2. Das Urteil zeigt aber auch, wie schwer sich das Recht mit der Digitalisierung und den immer kürzeren Innovationszyklen tut. Das erste iphone kam 2007 auf den Markt, das sind gerade einmal 10 Jahre bis heute. Die Entwicklung der Welt ist durch die Digitalisierung seitdem bis heute extrem rasant verlaufen. All das läuft am Recht und an den Gerichten (ebenso wie an der Politik) weitgehend vorbei. So ist das ca.  Anfang 2000 eingerichtete EGVP leider ein Mega-Flop. Es wird bald abgeschaltet. Warum: Gerichte und Behörden haben es einfach boykottiert. Welchen Sinn ergibt eine solche Plattform auch, wenn man darüber nur ganz wenige Gerichte erreicht, weil die meisten sich dem System einfach nicht angeschlossen haben. Erst jetzt kommt so langsam das, was in der Industrie seit vielen Jahren Standard ist: die papierlose Kommunikation. Verpflichtend aber erst für alle Gerichte 2022. Heute läuft in unserem Büro die Kommunikation zu 95% per E-Mail, die restlichen 5% sind die Post von den Gerichten, die immer noch mit einfacher und beglaubigter Kopie arbeiten. Selbst von Kollegen erhalten wir Telefaxe nebst 2 Kopien. Allein daran kann man ersehen, wie sehr die Justiz mit allen Beteiligten anachronistisch arbeitet und „hinter dem Mond lebt“. Das gleiche gilt für die Gerichtsverhandlungen. Als Prozessbevollmächtigter muss man immer noch zur mündlichen Verhandlung persönlich. Dabei gibt es seit vielen Jahren die Möglichkeit der Videokonferenz auch in Gerichtsverfahren (z.B. § 128a ZPO). Aber auch da spielen die meisten Gerichte einfach nicht mit. Hinzu kommt, dass die Technik für die meisten Anwälte zu teuer ist und es bei Gerichten keinen einheitlichen Standard gibt. Während allerorten Skype, facetime oder whatsapp dafür genutzt werden kann, geht das bei der Kommunikation mit Gerichten nicht.

Mein Fazit: solange wir genug Muße haben, durch Gerichte mit hohem personellen und zeitlichen Einsatz neue Begriffe wie „Negativfunktion“ zu schöpfen und banale Dinge zu entscheiden statt das Rechtswesen zur Entlastung aller durchgreifend zu digitalisieren, müssen wir uns nicht wundern, wenn die am Recht Beteiligten so wahrgenommen werden, dass sie der Digitalisierung um Lichtjahre hinterher hinken.

ws

 

 

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