Anmerkung zum Urteil des BFH vom 19.06.2024 – II R 40/21
Die Entscheidung des BFH zeigt erneut, dass die Schenkungsteuer im Zusammenhang mit Beteiligungen an Gesellschaften immer mehr in den Fokus der Finanzverwaltung rückt. Was eine Betriebsprüfung vor 20 Jahren nie aufgegriffen hätte, gehört heute zum Alltag der Finanzverwaltung. Bei gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen müssen wir also immer auch die Schenkungsteuer im Blick haben.
Was war passiert: mit Urteil vom 19. Juni 2024 hat der Bundesfinanzhof (Az. II R 40/21) eine praxisrelevante und zugleich steuerlich folgenreiche Entscheidung zur schenkungsteuerlichen Behandlung von Gesellschaftermaßnahmen in Kapitalgesellschaften getroffen. Danach kann der Verzicht eines Gesellschafters auf einen angemessenen Wertausgleich im Zusammenhang mit einer Kapitalerhöhung über die Kapitalrücklage als freigebige Zuwendung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG qualifiziert werden. Die Entscheidung wirft ein scharfes Licht auf den Spannungsbogen zwischen gesellschaftsrechtlicher Dispositionsfreiheit und steuerrechtlicher Bewertung von Vermögensverschiebungen.
Sachverhalt: Kapitalrücklage, Sonderzuordnung und Verzicht
Im zugrunde liegenden Fall war die Klägerin Miterbin eines GmbH-Gesellschafters. Nach dem Gesellschaftsvertrag sollten freiwillige Leistungen der Gesellschafter in die Kapitalrücklage einer GmbH personenbezogen zugeordnet werden. Diese Zuordnung diente – wirtschaftlich nachvollziehbar – dazu, die Wertsteigerung der Beteiligung transparent und erbschaftsnah auf die leistenden Gesellschafter (bzw. deren Rechtsnachfolger) zurückzuführen.
Im Rahmen einer späteren Kapitalerhöhung wurde die zuvor personen- bzw. erbbezogene Kapitalrücklage jedoch – abweichend von der gesellschaftsvertraglichen Vereinbarung – pro-rata auf sämtliche Gesellschafter entsprechend ihrer Beteiligungsquoten verteilt. Diese Zurechnung zugunsten anderer Gesellschafter erfolgte ohne Ausgleichszahlung oder andere Kompensation.
Die Klägerin machte geltend, dass keine freigebige Zuwendung vorliege, da es sich um eine unternehmerisch motivierte Maßnahme gehandelt habe, die auf einer einvernehmlichen Gestaltung beruhte.
Rechtliche Würdigung durch den BFH
Der Bundesfinanzhof schloss sich der Auffassung der Finanzverwaltung an und bejahte eine freigebige Zuwendung nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Er stützte seine Entscheidung auf folgende zentralen Erwägungen:
- Verzicht auf Wertausgleich als Vermögensverschiebung:
Die durch die Kapitalmaßnahme bewirkte Verlagerung von anteiligen Rücklagen zugunsten anderer Gesellschafter ohne entsprechende Gegenleistung stelle eine Vermögensminderung auf Seiten der Klägerin und eine gleichzeitige Vermögensmehrung bei den anderen Gesellschaftern dar. - Keine gesellschaftsrechtliche Pflicht zur Gleichverteilung:
Der ursprüngliche gesellschaftsvertragliche Mechanismus hatte ausdrücklich eine personenbezogene Zuordnung vorgesehen. Von dieser wurde im Einzelfall abgewichen. Die freiwillige Zustimmung zur Gleichverteilung begründe gerade keine Pflicht und schließe daher die Freigebigkeit im steuerlichen Sinne nicht aus. - Subjektives Element der Freigebigkeit ausreichend:
Der BFH betont, dass es für das Vorliegen einer Schenkung nicht auf die Absicht zur Unentgeltlichkeit im zivilrechtlichen Sinne ankommt. Ausreichend sei, dass der Leistende bewusst auf einen Wertausgleich verzichtet, um dem anderen einen Vorteil zu verschaffen.
Einordnung und Praxishinweis
Die Entscheidung verdeutlicht, dass innenrechtliche Vereinbarungen unter Gesellschaftern – selbst wenn sie wirtschaftlich oder familiär motiviert und fair sind – nicht automatisch die schenkungsteuerliche Bewertung verhindern. Entscheidend ist, ob und in welchem Umfang Vermögenswerte unentgeltlich oder teilentgeltlich auf andere Gesellschafter übertragen werden.
Die dogmatische Linie des BFH ist klar: Sobald aus einem individuell zurechenbaren Vermögensposten (hier: Kapitalrücklage) ein anderer Gesellschafter ohne Gegenleistung wirtschaftlich profitiert, liegt eine steuerbare freigebige Zuwendung vor. Auf das Bewusstsein der Unentgeltlichkeit kommt es nicht an.
Für die Praxis ergibt sich daraus ein Warnsignal:
- Gestaltungen zur Kapitalstärkung über das Eigenkapital, insbesondere im Wege der Kapitalrücklage oder Kapitalerhöhungen, sollten im Vorfeld gesellschaftsvertraglich präzise geregelt werden.
- Eine Abweichung von vertraglichen Zuweisungsregelungen – selbst im Konsens der Gesellschafter – kann steuerliche Konsequenzen für den Leistenden oder dessen Erben auslösen.
Fazit
Der BFH schließt eine steuerneutrale Gestaltung unter Gesellschaftern nicht aus, verlangt jedoch Klarheit, Stringenz und Gegenleistung, wenn es um die Verteilung von Vermögenswerten innerhalb einer GmbH geht. Die Entscheidung mahnt zur Vorsicht bei scheinbar internen Absprachen: Was gesellschaftsrechtlich erlaubt ist, kann steuerlich zur Falle werden.
Dona donata non recipitur – eine einmal vollzogene Schenkung lässt sich steuerlich nicht ungeschehen machen.
Last modified: 20. Mai 2025