In den letzten Jahren kommt es immer häufiger vor, dass ich mich kneifen muss, weil ich gar nicht glauben kann, was Mandanten von Finanzbehörden alles „geboten“ bekommen. Dabei erkenne ich ein sehr starkes und zunehmendes Gefälle zwischen dem Anspruch an Sorgfalt, den Finanzbehörden an Steuerpflichtige stellen und dem Anspruch, den Finanzbehörden an die eigene Sorgfalt stellen. Während gegen Steuerpflichtige schon bei recht geringen Anlässen Ermittlungsverfahren eröffnet werden, mehren sich, jedenfalls nach meiner Wahrnehmung, die Sachverhalte, bei denen Finanzbehörden die erforderliche Sorgfalt nicht an den Tag legen. Kkein Wunder. Denn mit ernsthaften Konsequenzen muss in einer Finanzbehörde niemand rechnen.
Heute habe ich einen Sachverhalt zu schildern, der ein Finanzamt in Niedersachsen betrifft, wir nennen es einmal das Finanzamt N./W. Was war passiert?
Im Jahr 2016 hatte das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen in H. ein Ermittlungsverfahren gegen einen Steuerpflichtigen begonnen. Dieses Verfahren wurde nach großem Aufwand ein paar Jahre später sang- und klanglos eingestellt.
Steuerrechtlich ließ das Finanzamt N./W. aber nicht locker. Es erließ geänderte Einkommensteuer-und Umsatzsteuerbescheide für mehrere Jahre und setzte Steuern auf die Sachverhalte fest, die Gegenstand des – mittlerweile eingestellten – Ermittlungsverfahrens waren. Dagegen wehrte sich der Steuerpflichtige und legte Einspruch ein.
Im Jahr 2020 hob das Finanzamt N./W. die mit Einspruch angefochtenen Einkommensteuerbescheide ersatzlos auf. Bei der Umsatzsteuer blieb die Finanzbehörde hartnäckig. nach längerem Schriftwechsel hob die Behörde aber schließlich im Jahr 2024 auch die Bescheide über Umsatzsteuer ersatzlos auf.
Zur Verwunderung des Mandanten erließ das Finanzamt im Jahr 2025 zur Einkommensteuer, obwohl es doch fünf Jahre zuvor die insoweit erlassenen Einkommensteuerbescheide ersatzlos aufgehoben hatte, eine Einspruchsentscheidung. Die aber hätte, da die mit Einspruch angefochtenen Einkommensteuerbescheide im Jahr 2020 ersatzlos aufgehoben worden waren, gar nicht mehr ergehen dürfen. Das ist eigentlich das kleine Einmaleins des Steuerrechts,
Auf die gegen die Einspruchsentscheidung erhobene Klage räumte das Finanzamt ein, dass es, nachdem es die mit Einspruch angefochtenen Einkommensteuerbescheide im Jahr 2020 ersatzlos aufgehoben hatte, eine Einspruchsentscheidung gar nicht mehr hätte erlassen dürfen. Das Finanzamt hob die Einspruchsentscheidung folgerichtig auf, Ohne ein Urteil des Finanzgerichts abzuwarten.
Wir haben jetzt den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt und beantragt, dem Finanzamt N./W. die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.
Der geschilderte Sachverhalt ist ein starkes Stück. Eigentlich sollte ein Steuerpflichtiger davon ausgehen dürfen, dass die Finanzbehörden die eigenen Akten kennen, und dass Verfahren, die bereits im Jahr 2020 mit den ersatzlosen Aufheben von Einkommensteuerbescheiden zu Ende gegangen sind, im Jahr 2025 nicht wieder „aus dem Keller geholt“ werden.
Eine Entschuldigung seitens der Finanzbehörde habe ich bis heute nicht gesehen, obwohl dies angebracht gewesen wäre.
Allerdings ist das Thema noch nicht beendet. Denn der Mandant lässt derzeit prüfen, ob er mit Aussicht auf Erfolg Amtshaftungsansprüche gegen das Land Niedersachsen geltend machen kann.
Last modified: 28. Juni 2025