Wir hatten bereits am 28. Juni 2025 über diesen bemerkenswerten Sachverhalt berichtet. In der Zwischenzeit sind die Änderungsbescheide eingegangen. Die Änderungsbescheide sind jetzt korrekt.
Der Mandant hatte für die Vertretung seiner Interessen hohe Beratungskosten zu tragen. Verständlicherweise stellt er die Frage, ob Ersatz verlangen kann. Ersatz kann er verlangen nach den Grundsätzen der Amtshaftung.
Die gesetzlichen Grundlagen dafür sind:
- § 839 Abs. 1 BGB – Haftung des Beamten (bzw. Amtsträgers) für vorsätzlich oder fahrlässig verursachte Amtspflichtverletzungen gegenüber Dritten.
- Art. 34 GG – Haftung geht auf den Staat/die Körperschaft über (hier: das jeweilige Land oder der Bund als Träger der Finanzbehörde).
- § 839 Abs. 3 BGB – Subsidiarität: Kein Anspruch, wenn ein anderweitiger Rechtsbehelf den Schaden abwenden konnte und nicht genutzt wurde.
Wann aber hat ein solches Verfahren Aussicht auf Erfolg? Folgende Tatbestandsmerkmale müssen erfüllt sein:
Hoheitliches Handeln
das bedeutet Handeln in Ausübung eines öffentlichen Amtes (Veranlagung, Vollstreckung, Steuerfahndung, Prüfungsanordnungen, Erlass von Steuerbescheiden, Durchsuchungen etc.).
Verletzung einer drittbezogenen Amtspflicht
Die Amtspflicht muss auch den Schutz des konkreten Geschädigten bezwecken.
Beispiele:
- Pflicht zur richtigen Rechtsanwendung und zutreffenden Sachverhaltsaufklärung (§ 88 AO).
- Pflicht zur Wahrung von Verhältnismäßigkeit (Art. 20 Abs. 3 GG).
- Pflicht zur Beachtung von Grundrechten (z. B. Art. 2 Abs. 1 GG – allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 13 GG – Unverletzlichkeit der Wohnung).
Verschulden
- Vorsatz oder Fahrlässigkeit des Amtsträgers.
- Objektiv rechtswidriges Verhalten wird vermutet; die Behörde muss entlasten (BGH, Urteil vom 17.02.1977 – III ZR 194/74).
Schaden
Konkreter, bezifferbarer Vermögensschaden (z. B. Zinsen auf zu Unrecht erhobene Steuer, Verlust durch unzulässige Vollstreckung, Kosten einer unrechtmäßigen Durchsuchung).
Kausalität
Die Pflichtverletzung muss adäquat kausal für den eingetretenen Schaden sein.
Kein Ausschluss nach § 839 Abs. 3 BGB
Der Geschädigte darf es nicht schuldhaft unterlassen haben, zumutbare Rechtsmittel einzulegen (Einspruch, Aussetzung der Vollziehung, Klage zum Finanzgericht).
Typische Fallgruppen mit Erfolgsaussicht
Unrechtmäßige Steuerfestsetzungen
Beispiel: Steuerbescheid offensichtlich rechtswidrig, Behörde ignoriert eindeutige Rechtslage oder stichhaltige Beweismittel.
Anspruch: Ersatz von Vermögensschäden (Zinsen, Kosten), nicht aber der zu viel gezahlten Steuer selbst (→ Rückzahlung über das Steuerverfahren).
Unzulässige Vollstreckungsmaßnahmen
Pfändung, Kontensperrung oder Zwangsvollstreckung ohne vollziehbaren Titel oder bei eindeutigem Vollstreckungshindernis.
Bsp.: BGH, Urteil vom 21.01.1993 – III ZR 17/92: Amtshaftung bei Vollstreckung ohne wirksamen Bescheid.
Rechtswidrige Durchsuchungen / Beschlagnahmen
Steuerfahndung handelt ohne ausreichenden Tatverdacht oder auf Grundlage eines evident rechtswidrigen richterlichen Beschlusses.
Bsp.: BGH, Urteil vom 30.04.1992 – III ZR 151/90: Anspruch auf Schadensersatz wegen rechtswidriger Durchsuchung.
Verletzung der Beratungspflicht (§ 89 AO)
Behörde gibt falsche oder grob unvollständige Auskünfte zu steuerlichen Sachverhalten und verursacht dadurch Schäden.
Bsp.: BFH, Urteil vom 12.07.2001 – III R 11/98.
Verletzung der Pflicht zu zügiger Bearbeitung
Amtshaftung bei extremen Verzögerungen, die zu finanziellen Schäden führen (z. B. Ausbleiben einer Steuererstattung, wodurch Zinsaufwendungen entstehen).
Bsp.: BGH, Urteil vom 26.01.1989 – III ZR 190/87.
Fälle mit geringer Erfolgsaussicht
- Vertretbare Rechtsauffassung der Behörde (kein Verschulden).
- Schäden ohne Vermögensbezug (reine Unannehmlichkeiten).
- Unterlassene Rechtsmittel, obwohl diese den Schaden verhindert hätten (§ 839 Abs. 3 BGB).
Verjährung
Absolute Verjährung: 30 Jahre.
Drei Jahre ab Kenntnis von Schaden und Schädiger (§ 195 BGB, § 199 Abs. 1 BGB).
Im vorliegenden Fall sehen wir gute Erfolgsaussichten für eine Amtshaftungsklage. Die Finanzverwaltung hat, obwohl ein Fehler in der EDV nach eigener Aussage der Finanzverwaltung leicht zu identifizieren war, über einen längeren Zeitraum behauptet, die später aufgehobenen Änderungsbescheide seien in vollem Umfang rechtmäßig. Zudem hat die Finanzverwaltung die von dem Steuerpflichtigen beantragte Aussetzung der Vollziehung rundweg abgelehnt. Dem Mandanten sind daher durch amtspflichtwidriges Verhalten der Finanzbehörde erhebliche Beratungskosten entstanden.
In einem Rechtsstreit wird sich der Mandant voraussichtlich entgegenhalten lassen müssen, dass die Ersatzpflicht auf die Vergütungen begrenzt ist, die die gesetzlichen Gebührenordnungen für die erbrachten Leistungen vorsehen. Aber auch insoweit sehen wir dem Rechtsstreit mit Interesse entgegen. Denn eine gute Beratung ist heute für die gesetzlich vorgesehenen Gebühren nicht zu haben.
Last modified: 12. August 2025