Von 16:01 Steuerrecht, Verfassungsrecht, Was uns an der Finanzgerichtsbarkeit wundert

BVerfG kippt am 27. Mai 2025 das Schriftformerfordernis für den Betriebsausgabenabzug beim Fremdvergleich

Neue Perspektiven im Steuerrecht: BVerfG kippt Schriftformerfordernis bei Betriebsausgabenabzug

Ein wegweisender Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 27. Mai 2025 (2 BvR 172/24) stärkt den steuerlichen Betriebsausgabenabzug. Er stellt klar: Mangelnde Schriftform allein darf nicht zur Versagung führen. Eine wichtige Präzisierung im Sinne des Gleichheitsgrundsatzes, die die Praxis neu justiert und im Steuerrecht Substanz über Formalia stellt.

Sachverhalt im Überblick
Die klagende GmbH & Co. KG – Strategieträgerin in einer Unternehmensgruppe – hatte für ihre Schwesterpersonengesellschaft ohne schriftlichen Vertrag ein Sägewerk errichtet. Fehler bei Planung und Ausführung führten zu Anlaufverlusten in Millionenhöhe. Diese wurden durch eine mündliche „Vereinbarung zum Schadensausgleich“ ausgeglichen und als Betriebsausgaben gemäß § 4 Abs. 4 EStG geltend gemacht. Das Finanzamt, später auch das Thüringer Finanzgericht, verweigerten den Abzug allein wegen fehlender schriftlicher Vereinbarungen. Eine Gesamtwürdigung der Umstände fand nicht statt. Diese Praxis wurde nun vom BVerfG als verfassungswidrig gekippt.

Entscheidung des BVerfG
Das Bundesverfassungsgericht sah in diesem Vorgehen einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG – in seiner Dimension als Willkürverbot. Die fehlende Schriftform sei vom Finanzgericht zu einem eigenständigen Tatbestandsmerkmal erhoben worden, was sowohl gesetzlich nicht vorgesehen als auch verfassungsrechtlich unhaltbar sei. Eine zulässige Fremdvergleichsprüfung müsse stets eine Gesamtwürdigung aller Umstände einschließen. Mündliche oder konkludente Vereinbarungen können genauso fremdüblich sein wie schriftliche, wenn die tatsächliche Durchführung dem entspricht, was fremde Dritte vereinbaren würden.

Das BVerfG zitiert in seiner Entscheidung in Rz. 24 bis 27 seiner Entscheidung das Finanzgericht in Thüringen wie folgt:

Nach den Angaben der [Beschwerdeführerin zu 1.] planten und errichteten die Ingenieure der [Beschwerdeführerin zu 1.] beginnend im Jahr 2005 ein neues Sägewerk für die [Schwesterpersonengesellschaft]. Eine schriftliche Vereinbarung hierüber hatten die [Beschwerdeführerin zu 1.] und die [Schwesterpersonengesellschaft] nicht geschlossen. Bei der Errichtung des Sägewerks soll es durch Fehlplanungen und mangelhafter Umsetzung auf Seiten der ausführenden [Beschwerdeführerin zu 1.] zu außergewöhnlichen Zusatzkosten in Höhe von 4.127.121,89 Euro gekommen sein.“

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„[…] entgegen der Ansicht der [Beschwerdeführerin zu 1.] [ist] das sich möglicherweise aus dem Fremdvergleichsgrundsatz ergebende Erfordernis von schriftlichen Verträgen gerade keine bloße, überflüssige Formalie.“

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Den oben dargestellten Anforderungen des Fremdvergleichs halten (1.) etwaige konkludente Vereinbarungen über eine Lohnfertigung einschließlich einer Übernahme von Anlaufverlusten der [Schwesterpersonengesellschaft] durch die [Beschwerdeführerin zu 1.] und (2.) etwaige konkludente Vereinbarungen zur Zahlung von Schadensersatz an die [Schwesterpersonengesellschaft] sowie (3.) die schriftliche ‚Vereinbarung zum Schadensausgleich‘ vom 9. Oktober 2008 nicht stand. Fremde Dritte hätten nach fester Überzeugung des Senats − bei der hier in Rede stehenden Größenordnung in Millionenhöhe − von vornherein, also vor Beginn der Errichtung des Sägewerks im Jahr 2005, schriftliche Verträge sowohl über den Aufbau des Sägewerks als auch über ein Lohnfertigungsverhältnis geschlossen, aus denen sich zumindest die wesentlichen Rechte und Pflichten der Vertragspartner einschließlich der Übernahme der wesentlichen Risiken ergeben […]. Solche (schriftlichen) Verträge haben die [Beschwerdeführerin zu 1.] und die [Schwesterpersonengesellschaft] nicht abgeschlossen. Es fehlt an jeglicher vorheriger schriftlicher vertraglicher Vereinbarung insbesondere über die einzelnen Merkmale eines Lohnfertigungsverhältnisses […]. Überdies fehlen beispielsweise schriftliche Vereinbarungen darüber, zu welchen Konditionen die [Schwesterpersonengesellschaft] von der [Beschwerdeführerin zu 1.] das Rundholz erwirbt und zu welchen Konditionen die [Beschwerdeführerin zu 1.] dieses zurückerwirbt.

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In Anbetracht des Vorstehenden kommt es auf die Frage, ob zwischen der [Beschwerdeführerin zu 1.] und der [Schwesterpersonengesellschaft] die Merkmale eines Lohnfertigungsverhältnisses aufgrund tatsächlicher Übung vorgelegen haben, nicht mehr an. Die von der [Beschwerdeführerin zu 1.] beantragte Beweisaufnahme durch Vernehmung der benannten Zeugen ist damit entbehrlich.

Solche Texte von Finanzbehörden und Finanzgerichten sind Steuerrechtlern bestens bekannt. Damit ist jetzt aber Schluss. Jetzt reicht der Verweis auf Formalien nicht mehr.

Weiteres Verfahren der Beschwerdeführerin
Das Verfahren ist nun an das Thüringer Finanzgericht zurückverwiesen. Das Gericht muss den Fremdvergleich jetzt vollständig und unter Berücksichtigung aller Umstände sachgerecht durchführen – inklusive der Prüfung möglicher konkludenter Vereinbarungen oder gelebter betrieblicher Praxis. Dabei liegt der Ausgang offen, aber es ist gut möglich, dass die Betriebsausgaben nun anerkannt werden, sofern der Fremdvergleich insgesamt positiv ausfällt.

Auswirkungen auf die Steuerrechtspraxis
Diese Entscheidung hat einschneidende Bedeutung:

  • Sie bekräftigt, dass formale Kriterien wie Schriftform zwar hilfreich sind, aber nicht zwingend geboten sind.
  • Steuerpflichtige können sich künftig stärker auf die tatsächliche Durchführung berufen – etwa bei Verträgen mit nahestehenden Personen oder Gesellschaften.
  • Für Steuerrechtler eröffnet sich ein neuer Argumentationsrahmen zur Verteidigung betrieblich begründeter Aufwendungen, selbst ohne perfekten Vertrag.
  • Gleichzeitig bleibt die Empfehlung: Schriftliche Fixierung bleibt aus Beweis- und Dokumentationsgründen weiterhin klug – insbesondere in komplexen oder mit internationalem Bezug belegten Fällen.

Fazit
Das BVerfG macht deutlich: Substanz vor Formalität – der steuerliche Betriebsausgabenabzug darf nicht wegen formaler Lücken versagt werden. Mindestvoraussetzung ist eine Gesamtwürdigung aller objektiven Umstände. Für Steuerpflichtige und Berater bedeutet das: mehr Rechtssicherheit im Streitfall, zugleich aber die Fortführung sorgfältiger Dokumentationspraxis. Dennoch: sicher eine bahnbrechende Entscheidung des BVerfG, die die Rechte der Steuerpflichtigen stärkt.

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Last modified: 2. September 2025

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