Der Beschluss des XII. Zivilsenats vom 28.05.2025 ist kein Feuerwerk der großen Sätze. Gerade deshalb ist er für die Praxis so wertvoll. Der BGH räumt auf, er präzisiert die Dogmatik und zieht eine klare Linie: Ohne nachweisbare subjektive Imparität keine Gesamtnichtigkeit eines Ehevertrages – und zwar auch dann nicht, wenn der Vertrag objektiv „hart“ aussieht.
1. Worum ging es?
Gegenstand war ein Ehevertrag im Umfeld einer Unternehmerehe. Kurz vor der Eheschließung wurde Gütertrennung vereinbart; hinzu kamen Modifikationen beim nachehelichen Unterhalt sowie ein gegenseitiger Erb- und Pflichtteilsverzicht. Der BGH hielt die Vereinbarung und den Vertrag insgesamt für wirksam.
Bühler (Notar, Neu-Ulm) ordnet die Entscheidung in seiner Anmerkung in der DNotZ ein und hebt hervor, dass sie zwei Praxisbaustellen zugleich betrifft: die Imparitätsprüfung und die Funktionsäquivalenz von Versorgungs- und Zugewinnausgleich.
2. Die Kernaussagen des BGH – in der Praxisformel
a) Keine Abkürzung über Vermutungen: „Objektiv schief“ bedeutet nicht automatisch „subjektiv unfair“
Der BGH bestätigt nochmals ausdrücklich: Ein objektiv unausgewogener Vertragsinhalt begründet keine Vermutung für eine subjektive Unterlegenheit beim Vertragsschluss.
Praxisfolgen: Wer einen Ehevertrag angreift, muss die Imparität konkret aufklären und beweisen. Wer einen Ehevertrag verteidigt, wird genau dort ansetzen.
b) „Ehe nur mit Ehevertrag“ ist nicht per se eine Zwangslage
Der BGH sieht keine Zwangslage allein deshalb, weil ein Ehegatte die Eheschließung vom Abschluss des Ehevertrags abhängig macht.
Praxisfolgen: Das Argument „Druck durch Hochzeitsabsage“ trägt nur, wenn zusätzliche Umstände hinzutreten, die eine echte Disparität erzeugen (wirtschaftliche Abhängigkeit, Schwangerschaft, fehlende Beratung/Bedenkzeit etc.). Der Beschluss zwingt zur Substanz.
c) Güterstandsklauseln in Gesellschaftsverträgen erzeugen keine automatische „Zwangswirkung“
Auch aus gesellschaftsvertraglichen Klauseln, die Gütertrennung verlangen, folgt nach dem BGH keine Zwangslage. Auf deren Wirksamkeit kommt es dabei nicht an.
Praxisfolgen: Der unternehmerische „Compliance-Reflex“ („Gesellschaftsvertrag zwingt“) ersetzt keine Imparität.
d) Verfahrensqualität wird zum Beweisanker: Entwurf, Timing, „Cooling-off“
Bühler zeigt in seiner Anmerkung sehr plastisch, worauf der Senat in der Imparitätsprüfung blickt: Wurde der Entwurf rechtzeitig übermittelt? Gab es Beratung? Gab es Bedenkzeit? Ein „Last-minute“-Zeitpunkt allein (Abschluss des Ehevertrages kurz vor der Hochzeit) ist nicht entscheidend, wenn das Verfahren „sauber“ war.
Praxisfolgen: Kautelarjuristisch ist das die Botschaft: procedere est regnare – wer das Verfahren beherrscht, beherrscht das Risiko.
3. Bühler: Warum die Entscheidung „für den Kautelarjuristen sehr erfreulich“ ist
Bühler formuliert drei Takeaways, die sich jeder Berater / Notar als Checkliste an den Bildschirm hängen kann:
- Funktionsäquivalenz dogmatisch richtig verortet: Sie spielt nur bei der Ausübungskontrolle (§ 242 BGB ) eine Rolle, nicht bei der Wirksamkeitskontrolle.
- Kompensation für Zugewinnausschluss bei Unternehmereheverträgen: Der verbreitete Rat, zwingend kompensieren zu müssen, ist für die Wirksamkeitskontrolle „überholt“. Gleichwohl kann Kompensation sinnvoll sein, um Ausübungskontrolle zu vermeiden.
- Imparität bleibt der neuralgische Punkt: Unabhängig von Funktionsäquivalenz kann der gesamte Vertrag nichtig sein, wenn in der Gesamtschau Einseitigkeit und Imparität vorliegen; dann ist der Vertrag „unheilbar“ nichtig, eine salvatorische Klausel hilft nicht.
Das ist das eigentliche Praxisgewicht: Nicht die brillante Klausel rettet den Vertrag, sondern die nachweisbare Abwesenheit von Imparität.
4. Prüfungsschritte bei Eheverträgen: So prüft man „BGH-konform“
Wer Eheverträge prüft (gerichtlich oder außergerichtlich), sollte die Prüfung strikt in Stufen denken:
Schritt 1: Isolierte Kontrolle einzelner Klauseln
Zunächst werden einzelne Regelungen isoliert daraufhin geprüft, ob sie für sich genommen unwirksam sind. Bühler beschreibt diesen Einstieg ausdrücklich als Teil des Prüfungsmaßstabs.
Schritt 2: Wirksamkeitskontrolle des Gesamtvertrags (§ 138 Abs. 1 BGB) – „Gesamtschau“
Dann folgt die entscheidende Gesamtprüfung: Zielen die Regelungen im objektiven Zusammenwirken erkennbar auf einseitige Benachteiligung und fehlt eine hinreichende Kompensation? Und – zentral – liegt als subjektives Element Imparität vor? Ohne Imparität keine Gesamtnichtigkeit.
Schritt 3: Ausübungskontrolle (§ 242 BGB) – Blick auf den Scheidungszeitpunkt
Hält der Vertrag Stufe 2 stand, kommt als Korrektiv die Frage, ob es im konkreten Scheidungsfall treuwidrig ist, sich auf einzelne Regelungen zu berufen. Genau hier verortet der BGH nach Bühler die Funktionsäquivalenz.
5. Warum die Entscheidung für die Praxis wichtig ist
Erstens: Sie diszipliniert die Argumentation. Wer klagt oder verteidigt, muss Imparität als Tatsachenkomplex ernst nehmen. Reine Wertungen („unangemessen“, „unfair“) reichen nicht.
Zweitens: Sie wertet das Beurkundungsverfahren, das Einhalten von Regeln und deren Dokumentation auf. Entwurfsversand, Beratung, Cooling-off sind nicht nur „nice to have“, sondern werden zum gerichtsfesten Risikomanagement. Da es häufig erst Jahre oder Jahrzehnte nach Abschluss des Ehevertrages zu Streit kommt und daher im Regelfall die Handakte des Notars vernichtet und nicht selten auch der Notar nicht mehr im Amt oder gar verstorben ist, ist die Dokumentation in der Urkunde wichtig. Festhalten sollte der Notar z.B. wann er den Beteiligten den Entwurf übersandt hat, ob es Gespräche vor der Beurkundung gab, dass die Beteiligten erklären, den Vertrag in freier Entscheidung und frei von Druck haben prüfen können.
Drittens: Sie entlastet Unternehmereheverträge ein Stück weit – aber ohne Freifahrtschein. Wer die Imparität „im Griff“ hat, gewinnt Sicherheit. Wer sie ignoriert, spielt russisches Roulette: Bei Imparität besteht die große Gefahr, dass der gesamte Vertrag fallen wird.
Last modified: 18. Dezember 2025