Von 11:43 Steuerrecht

BFH-Vorlage an den EuGH – XI R 23/24 – ein Beitrag zum Vertrauensschutz im Steuerrecht und darüber hinaus

Datum der Verkündung: 31. Juli 2025 (Nummer 051/25)
Aktenzeichen: XI R 23/24 (Beschluss vom 19. Februar 2025)

1. Sachverhalt

Eine GmbH im Onlinehandel nutzte für Verkäufe von Schmuck und Uhren in den Jahren 2013 und 2014 die Differenzbesteuerung nach § 25a UStG.

Im Rahmen einer späteren Betriebsprüfung wurde festgestellt, dass die Vorlieferanten fälschlich die Differenzbesteuerung angewendet hatten – es handelte sich tatsächlich um Neuware.

Infolgedessen nahm das Finanzamt eine Umqualifikation zur Regelbesteuerung vor, inklusive Steuernachforderung.

Die Klägerin berief sich auf Vertrauensschutz: sie sei gutgläubig gewesen und habe auf die Angaben der Lieferanten vertraut, so das Argument; dabei stützte sie sich auf EuGH-Rechtsprechung („Litdana“, C‑624/15).

Der BFH stellt dem EuGH die Frage, ob unionsrechtlich der Schutz des gutgläubigen Handelns bereits im Steuerfestsetzungsverfahren – und nicht erst im späteren Billigkeitsverfahren – gewahrt werden muss.

2. Bedeutung der Vorlagefrage

Diese Vorlage berührt zwei zentrale Rechtsprinzipien: den Vertrauensschutz und das Effektivitätsgebot des EU‑Rechts.

– Vertrauensschutz (bona fides): Der Steuerpflichtige darf darauf vertrauen, dass formell zutreffende Rechnungen, im Zweifel auch bei objektiven Fehlern, nicht nachteilig berücksichtigt werden.

– Effektiver Rechtsschutz (effective judicial protection): Wenn ein gutgläubiger Steuerpflichtiger Schutz beanspruchen kann, aber nur im nachgelagerten Billigkeitsverfahren – also erst nach rechtsgestaltenden Entscheidungen – wird dieser Schutz möglicherweise nur pro forma gewährt.

Vor diesem Hintergrund hat die Vorlage ein paar Fragen aufgeworfen: Muss der Schutz schon im Rahmen der formellen Steuerfestsetzung greifen, oder reicht der spätere – oft schwer zugängliche und unkalkulierbare – Billigkeitsweg? Hierbei geht es um grundrechtliche Aspekte wie Rechtssicherheit und faire Verfahrensgestaltung.

3. Relevanz über das Umsatzsteuerrecht hinaus

Der Schutz des guten Glaubens ist kein Phänomen des Steuerrechts allein. Die Prinzipien wirken in zahlreichen Rechtsgebieten:

– Zivilrecht (Vertragsrecht, Anfechtung): Auch dort wirkt das Prinzip „creditor in buona fede“ stark – gutgläubiger Erwerb, Vertrauensschutz bei sorgfaltsgemäßem Handeln.

– Verwaltungsrecht und Sozialrecht: Behördliches Vertrauen – etwa bei Zulassungen oder Unterstützungsansprüchen – kann bei späteren formellen Fehlern insoweit geschützt sein.

– Kartellrecht, Kapitalmarktrecht, Umweltrecht: Auch hier steht oft die Frage im Raum, wann vorsorglich auf Prüfungen verzichtet werden darf – und wann der Staat oder seine Organe doch eingreifen müssen.

Aktuelle Verfahren in Deutschland – etwa zu den Grenzen der Steuerfestsetzung bei fehlerhaften Rechnungen (§ 14c UStG), zu Billigkeitsmaßnahmen nach § 163 AO sowie zur Reichweite des Vertrauensschutzes im Kontext der Umsatzsteuerkarusselle – zeigen, wie brisant das Thema ist.

Auch der BFH selbst verhandelt aktuell weitere Verfahren, in denen es um die Ausweitung des gutgläubigen Erwerbs im Umsatzsteuerrecht geht.

Die Entscheidung XI R 23/24 wird deshalb Signalwirkung entfalten.

4. Fazit

– Der BFH-Vorstoß in dem Verfahren XI R 23/24 steht exemplarisch für ein modernes Verständnis von Rechtsschutz und Vertrauensschutz im Steuerverfahren.

– Die Wahl des Verfahrenswegs – unmittelbar im Steuerfestsetzungsverfahren oder später via Billigkeit – ist keine Formalie, sondern eine Grundsatzfrage.

– Die Vorlage betrifft nicht nur das Umsatzsteuerrecht, sondern auch andere Rechtsbereiche, in denen Vertrauen und rechtliches Vertrauen zentrale Rollen spielen.

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Last modified: 19. August 2025

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