Die Einstufung eines Urteils durch einen Anwalt als „so falsch, dass man sich wundert, dass ausgebildete Juristen an der Rechtsfindung beteiligt waren”, ist kein Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot. Es ist auch keine Formalbeleidigung.

Download PDF

Anwälte haben die (größere) Meinungsfreiheit im Kampf um’s Recht: ein Rechtsanwalt richtete nach Zustellung eines seine Berufung verwerfenden Urteils einen mehrseitigen Schriftsatz an das Landgericht, in dem er einleitend ausführte: „… ist festzustellen, dass das Urteil der Kammer vom 17. 3. so falsch ist, dass man sich wundert, dass ausgebildete Juristen an der Rechtsfindung beteiligt waren. … Schadensersatzansprüche, die gegen jeden anderen Bürger mit Recht indiziert wären, gibt es gegen Richter nicht, ebenso wenig wie Rechtsbeugung.” Gegen Ende des Schreibens, in dem sich der Rechtsanwalt mit der Rechtsansicht des LG eingehend auseinandersetzte, heißt es: „So wird der Eindruck erweckt, dass unsorgfältig vorgegangen wurde, dass der Vortrag des Bekl. überhaupt nicht interessierte. Es darf nicht verwundern, dass so der Eindruck von Justizwillkür oktroyiert wird, zumal es Rechtsbeugung in Praxi nicht gibt, damit keine begründbaren Schadensersatzansprüche gegen Richter und keine begründbaren Dienstaufsichtsbeschwerden. Man fühlt sich als Rechtsuchender der Staatsmacht zunehmend ausgeliefert.”

Der AnwGH entschied, dass der Schriftsatz des Rechtsanwalts ist nicht als Beleidigung zu beanstanden war. Wörtlich heißt es in der Entscheidung:

a) Rechtsanwälte üben im freiheitlichen Rechtsstaat als berufene Berater und Vertreter der Rechtsuchenden neben Richtern und Staatsanwälten eine eigenständige wichtige Funktion im „Kampf um das Recht” aus. Ihnen kommen deshalb weitergehende Befugnisse und damit korrespondierende Pflichten als ihren Mandanten zu (BVerfG, NJW 1991, NJW Jahr 1991 Seite 2274). Die Wahrnehmung seiner Aufgaben erlaubt es dem Rechtsanwalt – ebenso wie dem Richter – nicht, immer so schonend mit den Verfahrensbeteiligten umzugehen, dass diese sich nicht in ihrer Persönlichkeit beeinträchtigt fühlen. Nach allgemeiner Auffassung darf er im „Kampf um das Recht” auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, ferner Urteilsschelte üben oder „ad personam” argumentieren, um beispielsweise eine mögliche Voreingenommenheit eines Richters oder die Sachkunde eines Sachverständigen zu kritisieren. Nicht entscheidend kann sein, ob ein Anwalt seine Kritik anders hätte formulieren können; denn grundsätzlich unterliegt auch die Form der Meinungsäußerung der durch Art. GG Artikel 5 GG Artikel 5 Absatz I GG geschützten Selbstbestimmung (BVerfGE 76, BVERFGE Jahr 76 Seite 171 [BVERFGE Jahr 76 Seite 192f.] = NJW 1988, NJW Jahr 1988 Seite 191 [NJW Jahr 1988 Seite 193f.]). Herabsetzende Äußerungen, die ein Anwalt in Zusammenhang mit seiner Berufsausübung und der dabei zulässigen Kritik abgibt, bieten noch keinen Anlass zu standesrechtlichem Eingreifen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten.

Als Berufspflichtverletzung sind sie erst dann zu beanstanden, wenn die Herabsetzungen nach Inhalt oder Form als strafbare Beleidigungen zu beurteilen sind, ohne durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt zu sein (BVerfG, NJW 1991, NJW Jahr 1991 Seite 2274 f.).

ws

Wenn wir Sie über neue posts in unserem blog informieren sollen, tragen Sie sich bitte mit Ihrer E-Mail-Adresse in unseren Verteiler ein: >> hier eintragen!


JuraBlogs - Die Welt juristischer Blogs

Kommentar abgeben:

Sie müssen angemeldet sein um Kommentare abgeben zu können.