Archiv für 2015

OLG Karlsruhe vom 03.09.2014: „Schweigen ist Gold“: Schweigepflicht über den Tod hinaus

Donnerstag, 16. Juli 2015
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Schweigepflicht – wie ernst wird dieser Begriff eigentlich noch genommen? Nach dem Urteil des OLG Karlsruhe vom 03.09.2014, 12 W 37/14, ernster als je zuvor. Worum ging es? Als ein Begünstigter von der Lebensversicherung die Auszahlung der Versicherungssumme nach dem Tode seines Vaters verlangte, erhielt er die überraschende Antwort, sein Vater habe die Gesundheitsfragen „falsch“ beantwortet. Mit der Behauptung, keinen Hausarzt gehabt zu haben, focht die Versicherung den Vertrag wegen arglistiger Täuschung an. Doch diese Aussage konnte die Versicherung nicht beweisen. Der Hausarzt Dr. G. verweigerte seine Zeugenaussage unter Verweis auf sein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 383 Abs.1 Ziff. 6 ZPO.

Nach dem Urteil des OLG ist das zulässig: der Arzt dürfe sich auf seine Schweigepflicht berufen, außerdem gäbe es offensichtlich keine Schwierigkeiten bei der Ermittlung des Willens des Verstorbenen. Dieser hätte nicht gewollt, dass der Arzt aussagt. Da die Beweislast bei der Versicherung liegt und die arglistige Täuschung des Verstorbenen ohne die Aussage des Arztes praktisch nicht zu beweisen war, erhielt der Begünstigte die Auszahlung.

ws

„Wegfallgewinn“: BFH bleibt mit Urteil vom 15.04.2015 bei seiner Rechtsauffassung zum Rangrücktritt mit leichter Modifikation zu den Folgen

Sonntag, 12. Juli 2015
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91007 Linus Fliege_3Mit seiner Entscheidung vom 15.04.2015 (I R 44/14) bleibt der BFH bei seiner Linie, dass nicht jede Art eines zu einer Verbindlichkeit erklärten Rangrücktritts dazu führt, dass die Verbindlichkeit bestehen bleibt (und damit kein Gewinn infolge Wegfalls der Verbindlichkeit anfällt – „weniger arm = mehr reich“ = Gewinn). Er ergänzt sie aber konsequent.

Während ein Forderungsverzicht bei dem Schuldner zum Wegfall der Verbindlichkeit und damit steuerrechtlich zu einer Erhöhung des Betriebsvermögens nach § 4 Abs. 1 EStG führt, versucht die Praxis, diesem nicht gewünschten Ergebnis (wem es so schlecht geht, dass Gläubiger auf Forderungen verzichten, der braucht keinen zu versteuernden Gewinn ohne Zufluss von Liquidität) mit einem Rangrücktritt zu begegnen. Rangrücktritt heißt vereinfacht gesagt, dass die Verbindlichkeit zwar bestehen bleibt, sie aber bei Fälligkeit nicht bezahlt werden muss, sondern erst dann, wenn bestimmte Bedingungen eingetreten sind. Weiterer Vorteil: in einem insolvenzrechtlichen Status sind solche Verbindlichkeiten nicht auszuweisen, eine Überschuldung kann damit beseitigt werden. Wirtschaftlich betrachtet sind der Rangrücktritt und der auflösend bedingte Forderungsverzicht (Der Verzicht wird heute erklärt, die Forderung erlischt sofort, sie entsteht aber wieder bei Eintritt bestimmter Bedingungen) einander daher ähnlich.

Es liegt auf der Hand, dass bei der Formulierungen eines Rangrücktrittes der kautelarjuristischen Kreativität keine Grenzen gesetzt sind. Doch da wird’s ohne profunde Kenntnisse des Steuerrechts gefährlich. Das Steuerrecht greift durch die Sonderregelung des § 5 Abs. 2a EStG in der Weise in die Gestaltung ein, dass für Verpflichtungen, die nur zu erfüllen sind, soweit künftig Einnahmen oder Gewinne anfallen, Verbindlichkeiten und Rückstellungen erst anzusetzen sind, wenn die Einnahmen oder Gewinne angefallen sind. Das gilt auch für Rangrücktritte.

Es bedarf daher schon der passenden Formulierung, um das unerwünschte Entstehen eines steuerlichen Gewinns durch einen Rangrücktritt zu vermeiden.

Positiv an der Entscheidung des BFH: wenn der Rangrücktritt nicht betrieblich veranlasst ist, ist die Gewinnerhöhung durch den – falsch formulierten – Rangrücktritt (Wortschöpfung des BFH: „Wegfallgewinn„) zu neutralisieren (als Einlage). Wermutstropfen: das erkennt der BFH aber nur in Höhe des werthaltigen Teils der Forderung an, und dieser Teil dürfte in der Praxis in den meisten Fällen nicht sehr hoch sein. Denn bei werthaltigen Forderungen besteht kein Anlass, einen Rangrücktritt zu erklären.
ws

Über die (Un)Logik des Referendums am 5. Juli 2015 in Griechenland

Sonntag, 05. Juli 2015
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91007 Linus fliege orange_1Betrachtet man das Referendum in Griechenland mit den Methoden der Logik, dann erhält man folgende Ergebnisse: (1) Das griechische Volk stimmt über die Annahme eines Angebotes ab, für das die Annahmefrist bereits abgelaufen. (2) Die Regierung, die dem Volk rät, das Angebot abzulehnen (mit „Nein“ zu stimmen), und die das Vertrauen und die Akzeptanz bei den Verhandlungspartnern verspielt hat, will gestärkt in weitere Verhandlungen eintreten. Was aber gibt es zu verhandeln, wenn die Regierung sich vom Volk nur hat bestätigen lassen, dass man das Angebot für nicht akzeptabel hält? Ein „Nein“ als Ergebnis des Referendums zementiert bestenfalls die bereits bekannte Ablehnung, es stärkt aber nicht die Regierung. Denn die Regierung repräsentierte auch schon bisher das griechische Volk. (3) Mit einen „Nein“ sind keine neuen Vorschläge verbunden. (4) Wer genau wissen will, worüber er abstimmt, der muss die auf dem Stimmzettel nur sehr rudimentär bestimmten EU-Papiere lesen, die für die meisten Menschen schon gar nicht verstehbar sind. Und selbst wenn: siehe (1).  (5) Und zum Schluss ganz einfach: wer die Konditionen eines Kredits oder einer Hilfe nicht akzeptiert, der muss sich auch nicht wundern, wenn er keine Gelder mehr bekommt.

Ganz gleich, wie die Sache am 5. Juli 2015 ausgeht, Griechenland wird schweren Zeiten entgegengehen. Nicht nur der Staat wird zahlungsunfähig bleiben, die Banken werden zusammenbrechen. Bei allem Respekt vor dem Bemühen der griechischen Regierung: sie hat sich nach meiner Meinung verzockt.

ws

91007 Linus Fliege_3

BFH-Urteil vom 10.03.2015: ein Notarassessor ist kein Kellner, oder doch ?

Sonntag, 05. Juli 2015
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Random_Coil_Logo_Blog_FacebookNein, es war nicht der 1. April. So einfach ist das Urteil nicht erklärt. Die Dinge müssen komplizierter liegen, zumal das Finanzgericht die Revision gegen seine Entscheidung an den BFH zugelassen hatte. Und das ist ja schon seit vielen Jahren die absolute Ausnahme. Im Regelfall ist bei dem Finanzgericht „Endstation„. Es ist schon verwunderlich, worüber der BFH so zu entscheiden hat, aber das Gericht kann sich die Verfahren ja auch nicht aussuchen. Mit Urteil vom 10.03.2015, VI R 6/14, kam der BFH zu dem Ergebnis, dass freiwillige Zahlungen von Notaren an Notarassessoren für deren Vertretungstätigkeit keine Trinkgelder nach § 3 Nr. 51 EStG und damit nicht steuerfrei seien. Dabei legte der BFH den Begriff „Trinkgeld“ lebensnah aus. Das Urteil zeigt zudem schön den Status eines Notars. Den kann man nicht wie einen Kellner herbeiwinken und etwas bestellen. Der Notar und auch sein Vertreter üben ein öffentliches Amt aus.
Auch hier frage ich mich – in Richtung der Kläger – nach der Lektüre des Urteils: sind 1.000,00 zu versteuernde Euro einen solchen Aufwand wert? Wenn es um die Rechtsfortbildung ginge, ja, wenn es um’s Recht behalten und ca. 400 Euro Steuern geht, nein.

ws

Griechenland vor dem Referendum am 5. Juli 2015 – ketzerische und offene Gedanken eines Nicht – Ökonomen

Freitag, 03. Juli 2015
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91010_WS schwarz weißIch habe das „Griechenland – Thema“ immer am Rande verfolgt. Ich habe mich darüber gewundert, dass man so lange und – in meiner Wahrnehmung aus der Presse – unstrukturiert und ziellos, man könnte meinen, es ginge nur um Zeitgewinn, aber wofür? – ohne Ergebnis verhandeln kann. Nachdem sich die Situation in den letzten Wochen zuspitzte, habe ich versucht, mich ein bisschen intensiver mit dem Thema zu befassen und es zu verstehen. Dazu habe ich mir nicht wenige dieser Talkrunden im Fernsehen angesehen. Wenn ich ehrlich bin, habe ich das eine oder andere, was Ökonomen dort zum Besten gegeben haben, nicht verstanden. Das beunruhigt mich aber auch nicht, weil es auch solche Veranstaltungen gab, wo hochdekorierte Ökonomen sich, vereinfacht gesagt, wechselseitig bezichtigten, Unsinn zu verbreiten.

So ganz verstehen kann ich den Aufstand, der um das Thema gemacht wird, noch immer nicht. Für Griechenland als Staat mag das Thema sicherlich von existenzieller Bedeutung sein, für die übrigen Länder der EU ist die Bedeutung dagegen bei weitem nicht so groß, wie die mediale Aufmerksamkeit es vermuten lassen sollte. Und für den Rest der Welt ist Griechenland nach meiner Einschätzung völlig unbedeutend.

Das Bizarre an dem Thema ist nach meiner Einschätzung nicht so sehr das eigentliche Problem. Denn das Problem einer Verschuldung und das Problem, die Wirtschaft aufzubauen, ist Sache eines jeden Nationalstaates. Warum dabei andere Staaten oder die EU helfen sollten, erschließt sich mir nicht. Ich habe mein Büro auch alleine aufgebaut, ich habe mich dabei nicht verschuldet. Auch Staaten ist es unbenommen, Darlehen aufzunehmen, um Ausgaben zahlen zu können. Dieses Modell ergibt aber nur Sinn, wenn die Aussicht besteht, dass diese Darlehen auch zurückgezahlt werden können. Ohne diese Aussicht wird ein Staat ebensowenig wie eine andere Person einen Geldgeber finden, der bereit ist, ihn zu unterstützen. Alles andere sind politische Hilfsaktionen, die wohlüberlegt sein wollen.

Die Hilfsbereitschaft der EU-Länder ist nach meinem Verständnis bei dieser Ausgangslage riesengroß. Es gibt einen Schuldner, für den es nach meiner Wahrnehmung selbstverständlich ist, dass er in der Vergangenheit sehr großzügig mit Geld bedient worden ist, und der sich jetzt so aufführt, als sei es eine Frechheit, die Unterstützungsleistungen einfach einzustellen. Die Maßnahmen, die die Geldgeber von Griechenland fordern, kenne ich im Einzelnen nicht. Ich kann mir aber beim besten Willen nicht vorstellen, dass es hier darum geht, dass die Geldgeber Griechenland ein bestimmtes Paket diktieren möchten. Ich kann mir vorstellen, dass die Geldgeber selbstverständlich auch bereit sein dürften, ein von Griechenland vorgelegtes tragfähiges Konzept als Grundlage für weitere Kredite zu akzeptieren.

Hatte ich zu Anfang noch gedacht, dass die handelnden Personen der Regierung in Griechenland intelligente und strategisch handelnde Köpfe und geschickte Verhandler sind, so ist diese Vorstellung mittlerweile dem Eindruck gewichen, dass hier bloß eitle und sich selbst überschätzende Machtmenschen am Werk sind, die nur wissen was Sie nicht wollen, die aber leider nicht sagen können oder wollen, was denn Ihrer Meinung nach geschehen sollte.
Unterdessen verwundert derzeit noch, wie ruhig es in Griechenland ist. Ich fürchte aber, je länger die Zeit andauert, dass die Menschen kein Bargeld von den Banken gehalten, desto schlimmer wird es werden. Tiefgreifende Reformen sind im eigenen Interesse von Griechenland, nicht nur im Interesse der Geldgeber. Es geht auch nicht darum, dass Griechenland am Gängelbändchen der EU laufen oder gar erniedrigt werden soll. Es geht schlicht und ergreifend darum, dass Geldgeber, wie andernorts auch üblich, ihr Geld gerne wieder zurückhaben möchten. Und wenn die Situation, die sie vorfinden, Ihnen diesen Glauben nicht gibt, dann werden sie kein Geld geben. Das geht jedem Unternehmen so, dass geht jeder Privatperson so. Es gibt für Staaten insoweit keine Sonderrechte, es sei denn, es handelt sich um einen humanitären Akt.
Ich bin gespannt, wie das Referendum ausgeht, und ich bin noch deutlich gespannter, was danach passieren wird. Das ist nach meiner Einschätzung viel spannender als der Ausgang des Referendums. Und die Börsen hat es nicht interessiert.
ws

Gastbeitrag von Prof. Dr. Sturm „Steuerrecht für Entrepreneure“, im Buch „Entrepreneurship“ erschienen. Verlag Springer Gabler 2. Auflage 2015, Kapitel 10 S. 381 bis 433

Sonntag, 14. Juni 2015
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91010_WS schwarz weißDas Lehrbuch „Entrepreneurship“ von Pott / Pott ist im Juni 2015 bereits in 2. Auflage bei dem renommierten Verlag Springer Gabler erschienen. In 10 Kapiteln werden alle relevanten Themen rund um die Unternehmensgründung, Businessplan und Finanzierung dargestellt. Bisher fehlte in dem Buch das Steuerrecht. Diese Lücke konnte jetzt durch den genannten Gastbeitrag geschlossen werden. Kapitel 10 des Buches hat das Steuerrecht für Entrepreneure zum Gegenstand. Es geht aber weit über die steuerlichen Themen, die besonders für Gründer interessant sind, hinaus. Das Kapitel über die „Steuerfallen„, die angesichts der Komplexität des Steuerrechts ständig an Zahl zunehmen, wird jeden Unternehmer interessieren. Auf den ersten Blick für Gründer etwas früh, bei näherer Betrachtung aber nur konsequent: mit dem in dem Gastbeitrag auch behandelten Thema der Unternehmensnachfolge können Unternehmer sich nicht früh genug befassen. Denn auch dieses Thema ist eine sehr vielschichtige unternehmerische Herausforderung. Die Autoren des Buches sind Prof. Dr. Oliver Pott, Professor für Entrepreneurship, Unternehmensgründung und Startup Management, und Dr. André Pott, Rechtsanwalt aus Detmold. Das Buch enthält zusätzlich Gastbeiträge von Prof. Dr. Frank Wallau (Mittelstandspolitik, Unternehmensgründung/-nachfolge):  und Prof. Dr. Wolfgang Sturm (Steuer- und Wirtschaftsrecht in mittelständischen Unternehmen mit internationalen Bezügen, Steuerstrafrecht, Recht der Unternehmensnachfolge, Wissensmanagement in Kanzleien).
ws

 

Das OLG Hamm (Urteil vom 15.01.2015, Az.: 1 RBs 232/14) kennt kein Pardon und bleibt dabei: das Smartphone darf im Auto auch im Notfall nicht einmal für kurze Zeit als Navigationshilfe in die Hand genommen werden.

Mittwoch, 10. Juni 2015
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Zum Pech kam noch Unglück: ein 29-jähriger Mann befuhr im Dezember 2013 eine Autobahn und hielt dabei sein Smartphone für mehrere Sekunden in der Hand. Bei einer danach erfolgten Kontrolle durch die Polizei gab er an, nicht telefoniert zu haben. Er habe nur auf das Display geschaut, weil er einen Notfall gehabt habe. Seine Motorkontrollleuchte habe plötzlich aufgeleuchtet, und er habe mit seinem Smartphone und der dort vorhandenen Navigation eine Werkstatt gesucht. Weder Polizei noch Gericht konnte der Fahrer mit dieser Version überzeugen. Das AG Castrop–Rauxel verurteilte den Fahrer am 01.10.2014 zu einer Geldbuße von 40,00 €.

Auch bei dem OLG Hamm hatte der Fahrer keinen Erfolg. Denn die Nutzung der Navigationsfunktion eines Mobiltelefons fällt nach dem OLG unter § 23 Abs. 1 a StVO. Danach ist es verboten, das Mobiltelefon zu verwenden, wenn man es aufnehmen oder halten muss. Das ist nur erlaubt, wenn das Fahrzeug steht und der Motor ausgeschaltet ist. Schon der 5. Senat für Bußgeldsachen habe mit Beschluss  vom 18.02.2013 (5 RBs 11/13) entschieden, dass eine nach § 23 Abs. 1 a StVO verbotene „Benutzung“ in jeder bestimmungsgemäßen Bedienung des Gerätes liege. Das kann neben dem Telefonieren auch der Abruf von Navigationsdaten sein. Die Vorschrift soll gewährleisten, dass der Fahrzeugführer immer beide Hände frei hat. Warum das aber nur mit Mobiltelefonen gewährleistet werden muss, und warum weiterhin Kaffeetrinken im Auto, Suchen von Musik usw. am Radio oder das Rumspielen am eingebauten Navi erlaubt ist, weiß in seiner unendlichen Güte nur der Gesetzgeber.

ws

OLG Hamm (13.01.2015 – 26 U 95/14) verurteilt Tierarzt wegen ungenügender Aufklärungs- und Beratungspflicht vor Operation eines Pferdes zu hohem Schadensersatz

Montag, 08. Juni 2015
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copyright by Slawik.comDas OLG Hamm hat am 13.01.2015 erneut bestätigt, dass Tierärzte weitreichende Aufklärungs- und Beratungspflichten treffen. Im Streitfall hatte ging es um ein Dressurpferd, dass die Kläger im Jahr 2006 für 300.000,00 € gekauft hatten. Im Jahr 2008 fiel das Pferd bei einem Turnier durch fehlenden Schwung und Elastizität auf. Die Kläger wandten sich an einen Tierarzt. Dieser röntgte das Pferd und stellte die Verdachtsdiagnose der Ataxie. Er empfahl eine chiropraktische Maßnahme. Für diese Behandlung musste das Pferd in der Praxis in Kurznarkose gelegt werden. Die Kläger stimmten der Maßnahme per Telefon zu. Nach dem Eingriff konnte das Pferd nicht mehr aufstehen,  es starb einen Tag später. Die Kläger verlangten von dem Tierarzt Schadensersatz für den Verlust des Tieres in Höhe von 500.000,00 €. Sie trugen vor, der Tierarzt habe das Pferd nur unzureichend untersucht, und er  habe es falsch behandelt. Außerdem habe der Tierarzt sie nur unzureichend über die Risiken der von dem Tierarzt empfohlenen Behandlung und Behandlungsalternativen aufgeklärt. Hätte der Tierarzt Sie zutreffend über die Risiken aufgeklärt, hätten sie in den Eingriff nicht eingewilligt.

Das OLG Hamm kommt in seiner Entscheidung zu dem Ergebnis, dass der beklagte Tierarzt den Klägern zum Schadensersatz verpflichtet ist. Das Gericht hat entscheidend darauf abgestellt, dass der Tierarzt seine Pflicht, die Kläger vor dem Eingriff hinreichend aufzuklären, schuldhaft verletzt hat.  Auch ein Tierarzt habe eine Aufklärung – und Beratungspflicht, selbst wenn diese nicht mit der in der Humanmedizin zum Schutz des Selbstbestimmungsrechts des Patienten gebotenen Aufklärung zu vergleichen sei. Gerade bei besonders risikoreichen Behandlungen und erkennbar erheblichen finanziellen Eigentümerinteressen müsse der Tierarzt den Eigentümer über die Risiken der Behandlung und über andere in Betracht kommende Behandlungsmöglichkeiten aufklären. Im Streitfall hätte der Tierarzt nach Auffassung des Gerichts die Kläger durch die umfassende Aufklärung in die Lage versetzen müssen, eine Entscheidung über die Art der Behandlung des Pferdes treffen zu können. Durch die Aufklärung hätten die Kläger in die Lage versetzt werden müssen, eine Entscheidung zwischen dem vom Tierarzt vorgeschlagenen schnelleren, dafür aber deutlich riskanteren chiropraktischen Eingriff oder einer länger dauernden, dafür aber risikoärmeren Behandlung, z.B. mittels Medikamenten, treffen zu können. Das Gericht ging außerdem davon aus, dass die Kläger bei einer ordnungsgemäßen Aufklärung nicht in die von dem Tierarzt vorgeschlagene risikoreichere Behandlung eingewilligt hätten.

ws

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„Es kommt darauf an“ – die Standardantwort offenbar aller Juristen weltweit; Rezension zu dem Buch von Hans Bollmann aus der Schweiz: Bemerkungen zu Anwaltsunternehmen und zu dem, was Anwälte so alles unternehmen, Stämpfli Verlag Bern

Sonntag, 07. Juni 2015
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Flagge SchweizDie Lektüre von Fachliteratur ist im Regelfall wenig ersprießlich. Es gibt nach meinem Geschmack nur wenig Bücher, die bei allem Interesse an dem Rechtsgebiet optisch und sprachlich ansprechend gestaltet sind. Das meiste kommt leider staubrocken daher. Wissenschaft und Praxis müssen aber nicht langweilig sein. Diese Erkenntnis gilt erst recht für Fachliteratur, die den Anwalt, den Anwaltsmarkt und das Thema Kanzleimanagement und Wissensmanagement betreffen. Hier wird es noch deutlich häufiger staubtrocken, nicht selten auch banal, obwohl diese Themen in hohem Maße praxisbezogen sind, und jeden Rechtsanwalt interessieren sollten. Wie wohltuend ist es daher, das Buch von Hans Bollmann mit dem Titel „Es kommt darauf an“ zu lesen.

Die erste Erkenntnis aus der Begegnung mit dem Buch, als ich es in die Hand genommen hatte, war geradezu frappierend. Ich wusste schon immer, dass Manager, Wirtschaftsprüfer und Banker, ganz gleich in welchem Staat sie arbeiten, zentral an einem Ort dieser Erde ausgebildet wären. Ansonsten wäre die Gleichheit der Angehörigen dieser Spezies nicht zu erklären. Bei der Spezies der Juristen, der auch ich angehöre, war ich mir bislang aber immer sicher, dass es einen solchen zentralen Ausbildungsort nicht gibt. Dafür sind nicht nur die Sprachen, sondern auch die Rechtssysteme der Staaten dieser Erde zu verschieden, als dass es einen kleinsten gemeinsamen Nenner für alle Juristen geben könnte.

Auf geradezu vorzüglich amüsante Weise bin ich jetzt aber eines Besseren belehrt worden. Allein schon der Titel des Buches „Es kommt darauf an“ von Hans Bollmann, einem Schweizer Juristen, hat mir schlagartig deutlich gemacht, dass es diese zentrale Ausbildungsstätte irgendwo doch geben muss. Denn wer kennt diesen Satz „Es kommt darauf an“ nicht. Es gibt nach meiner Einschätzung nicht wenige Juristen, die ihren Beruf verfehlt haben. Das gilt nicht nur für das unzureichende Fachwissen, sondern auch für die Persönlichkeit selbst. Dennoch aber dürften alle Juristen, auch die weniger befähigten, den Satz „Es kommt darauf an“ kennen und rege Gebrauch davon machen.

Eins aber ist klar: selbstverständlich kommt es darauf an. Denn es ist ja gerade die Aufgabe des Juristen zu prüfen, ob der tatsächlich verwirklichte Lebenssachverhalt sich unter den im Gesetz typisierten Lebenssachverhalt subsumieren lässt. Nur dann erhält er die Rechtsfolge. Daher ist der tatsächlich verwirklichte Lebenssachverhalt alles andere als gleichgültig. Denn es kommt darauf an, welchen Lebenssachverhalt wir unter das Gesetz subsumieren.

Genauso klar und einfach wie diese Erkenntnis, genauso klar und einfach ist auch die Erkenntnis, dass sich die stereotype Antwort „Es kommt darauf an“ an den Mandanten zu einer bestimmten von ihm gestellten Frage niemals auf diese vier Worte beschränken sollte. Das wäre „Teufelszeug“. Denn der Mandant möchte eine solche Antwort nicht hören. Sie hilft ihm nichts. Der Rechtsanwalt muss bei aller Richtigkeit der Aussage dem Mandanten dann auch schon sagen, worauf es denn ankommt. Denn sonst kann der Mandant mit dieser Antwort schlicht gar nichts anfangen.

Die Aussage „Es kommt darauf an“ ist bei Beschränkung auf diese vier Worte ähnlich sinnvoll wie die Bitten von Finanzämtern an die Steuerpflichtigen, „alle erforderlichen Unterlagen einzureichen“. Wäre der Bearbeiter nur zu bequem, die von ihm als erforderlich angesehenen Unterlagen zu benennen, wäre das schon schlimm. Noch schlimmer aber wäre es, wenn mit dem Satz zum Ausdruck gebracht werden soll, dass der Bearbeiter in der Behörde gar nicht weiß, was er eigentlich haben möchte. Geradezu grotesk wird es dann, wenn der Steuerpflichtige mit großer Mühe und zeitraubend Unterlagen zusammengestellt hat und dann von einer Behörde die Aussage hört, dass man diese Unterlagen nicht braucht.

Wie erfrischend dagegen ist das Buch von Bollmann. Es enthält aus der Sicht eines Schweizer Juristen einen sehr gut und unterhaltsam zu lesenden Abriss über Anwälte, Anwaltsunternehmen und zu dem, was Anwälte so alles unternehmen. Die Lektüre des Buches ist ausgesprochen kurzweilig, führt aber dennoch bei jedem Leser mit Sicherheit zu einem nicht unerheblichen Erkenntnisgewinn. Es trägt auch dazu bei, die eigene Arbeit kritisch und mit Abstand zu betrachten. Es hilft auch, über sich selbst zu schmunzeln, und sich selbst nicht ganz so wichtig zu nehmen, wie es viele Juristen machen. Kurzum: Das Buch ist eine echte Empfehlung.
ws

BFH vom 05.11.2014: Ärzte dürfen für Honorarrückforderungen der Krankenkassen Rückstellungen bilden – da staunt der Laie und der Fachmann wundert sich?

Samstag, 06. Juni 2015
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91007 Linus fliege orange_1Nanu, was passiert denn jetzt? Ärzte dürfen Rückstellungen bilden? Aber nur keine Angst, wir Steuerrechtler müssen Gott sei Dank nicht alles, was wir einmal über Steuerrecht gelernt haben, nach dem Urteil vom 05.11.2014 über Bord werfen. Auch die Lehrbücher und Kommentare im Steuerrecht müssen nicht umgeschrieben werden. Denn bei näherer Betrachtung ist das Urteil des Bundesfinanzhofes (BFH) zu Az. VIII R 13/12 nicht so erstaunlich, wie es auf den ersten Blick zu sein scheint. Der BFH hat nicht etwa, wie wir selbst zunächst vermutet hatten, und was ja auch wirklich eine Revolution gewesen wäre, bei der für Ärzte üblichen Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG durch Einnahme-Überschussrechnung die Bildung von Rückstellungen zugelassen. Im Streitfall ging es um eine GbR, die den Gewinn im Streitjahr durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG ermittelte. Also, durchatmen und ruhig bleiben, denn jetzt kommt der angenehme Teil des Urteils:

das Urteil des BFH ist ein voller Erfolg für alle Steuerpflichtigen. Der BFH hat erneut für den Fall der Bildung von Rückstellungen gegen die Finanzverwaltung entschieden. Die Finanzverwaltung wollte für die Bildung der Rückstellungen nahezu unüberwindliche Hürden aufstellen. Dem hat der BFH eine klare Absage erteilt. Im Streitfall ging es darum, dass die klagenden Ärzte das so genannte Richtgrößenvolumen nach SGB überschritten hatten. Bei einer Überschreitung um mehr als 25 % nach Feststellung durch den Prüfungsausschuss ist eine Rückforderung in Höhe des Mehraufwandes der Krankenkasse gesetzlich vorgeschrieben. Dieses Überschreiten der Richtgrößen hat nach Auffassung des BFH die Wirkung eines Anscheinsbeweises für die Unwirtschaftlichkeit der Verordnungsweise. Dem gegenüber hätten sich die Ärzte entlasten müssen. Angesichts des eingeleiteten Prüfverfahrens sah der BFH das Drohen einer Rückzahlungsverpflichtung als hinreichend wahrscheinlich an, selbst wenn der tatsächlichen Inanspruchnahme noch ein Verfahren vorherzugehen habe.
ws