Schweizer Haftbefehle gegen deutsche Steuerfahnder – was denken eigentlich die Schweizer darüber – Presseschau
Was denken eigentlich die Schweizer über die Haftbefehle und die Reaktionen deutscher Politiker darauf? Hier Auszüge aus der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) und aus der Basler Zeitung:
Am 2. April 2012 wies die NZZ auf einen in Deutschland wenig beachteten Umstand hin:
„Der Entscheid der Bundesanwaltschaft, im Fall einer Steuer-CD mit Bankdaten von mutmasslichen Steuerbetrügern auch gegen deutsche Steuerfahnder vorzugehen, hatte sich bereits Mitte Dezember an der Gerichtsverhandlung gegen den verantwortlichen CS-Mitarbeiter abgezeichnet. Carlo Bulletti, der für den Fall zuständige Leitende Staatsanwalt des Bundes, verwies damals am Bundesstrafgericht in Bellinzona gegenüber Medienvertretern auf einen Entscheid des deutschen Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe…. Dieses hatte im November 2010 im Fall Heinrich Kieber/LGT zwar entschieden, strafbar erlangte Beweismittel seien grundsätzlich verwertbar. Es wies damit die Beschwerde eines Ehepaars ab, das sich gegen eine Hausdurchsuchung zur Wehr gesetzt hatte, die aufgrund von Kiebers Steuer-CD erfolgt war. Staatsanwalt Bulletti verwies aber auf einen weiteren Passus im betreffenden Entscheid. Das deutsche Bundesverfassungsgericht hielt nämlich auch fest, es sei davon ausgegangen, dass die fraglichen Daten lediglich entgegengenommen wurden, dass die Behörden aber nicht ihre Herstellung oder Erfassung veranlasst hätten, sondern sich der Informant von sich aus an die Behörde gewandt habe (2 BvR 2101/09)….. Im Fall der Steuer-CD mit rund 2000 Kundendaten der CS, um die es im vorliegenden Fall geht, spricht die Bundesanwaltschaft aber von einer massgeschneiderten Datensammlung. Diese sei auf mehrfache Bestellung der Steuerfahnder aus Nordrhein-Westfalen entstanden. Mittelsmann war jeweils ein in der Schweiz wohnhafter Österreicher, der nach seiner Verhaftung Suizid beging. Der Österreicher hatte über einen längeren Zeitraum die «Bestellungen» der Steuerbehörde Nordrhein-Westfalens entgegengenommen. Gemäss Anklageschrift der Bundesanwaltschaft ging es bei diesen Aufträgen neben den Informationen zu Bankkunden auch um eine Powerpoint-Präsentation, mit der die CS ihren Mitarbeitern den Umgang mit Offshore-Kunden erläuterte.“
Also „Datenklau“ auf Bestellung?
Ebenfalls am 2. April 2012 war in der NZZ zu lesen:
„Politiker in Deutschland haben geharnischt auf die Nachricht reagiert, dass die Schweizer Justiz Haftbefehle gegen drei Steuerfahnder aus Nordrhein-Westfalen erlassen hat. In Nordrhein-Westfalen, wo Mitte Mai der Landtag neu bestellt wird, wurde der Disput sofort zum Wahlkampfthema….. Ähnlich wie Kraft äusserten sich SPD-Parteichef Gabriel und der raktionschef der Grünen im Bundestag, Trittin….. Die Schweiz wolle offensichtlich im Kampf gegen Steuerhinterziehung nicht mit Rechtsstaaten zusammenarbeiten. Wenn von einer Schweiz gesprochen wird, die «nicht mit Rechtsstaaten zusammenarbeiten» wolle, lässt das nur eine Interpretation zu: Die Schweiz ist kein Rechtsstaat. Damit ist zumindest ein Teil der deutschen Politikerkaste wieder im Reich jener Klischees angelangt, in dem man sich so gerne tummelte, als der damalige Finanzminister Steinbrück seine Sottisen über Kavallerie und Indianer in die Welt setzte. Steinbrück, der gerne SPD-Kanzlerkandidat würde, war am Wochenende natürlich auch gleich wieder zur Stelle und versuchte, den begriffsstutzigen Schweizern klarzumachen, dass sie Ursache und Wirkung verwechselten. Was die nordrhein-westfälischen Steuerfahnder getan hätten, sei nur eine Wirkung davon, dass die Schweiz zum Steuerbetrug einlade. «Das ist der Skandal.»… Erstaunlich an diesem gesamthaft doch recht durchsichtigen Wahlkampfgetöse ist das Fehlen selbst minimaler rational geleiteter Empathie für das Verhalten der Schweizer Bundesanwaltschaft. Man trompetet im Namen einer sehr deutsch empfundenen «Gerechtigkeit», die immer und ausschliesslich als Verteilungsgerechtigkeit definiert wird, seine «Entrüstung» hinaus, immer natürlich auf den Wähler schielend, der die Schweiz in den Medien des Mittelmasses meist als moralisch minderwertiges Steuerparadies kennenlernt, das seinen Wohlstand nicht Fleiss, industrieller Exzellenz und demokratischer Ordnung, sondern der Hehlerei verdankt. Einer der ganz wenigen Politiker, die mit Bedacht reagierten, war Finanzminister Schäuble. In Kopenhagen sagte er am Rande eines Treffens von EU-Ressortkollegen, die Schweiz sei ein Rechtsstaat, ebenso wie Deutschland. Justiz und Strafverfolgungsbehörden seien unabhängig, genau wie in Deutschland. Das Schweizer Strafrecht belege die Verletzung des Bankgeheimnisses mit Strafe, wovon im übrigen auch ehemalige Bundesräte nicht ausgenommen seien. Für ihn, Schäuble, gebe es deshalb keinen Zusammenhang zwischen den Haftbefehlen und dem anvisierten Steuerabkommen.“
Die Basler Zeitung weist am 7. April 2012 auf die Ursachen im deutschen Steuersystem hin:
„Unterstützung erhält die Schweiz dagegen vom Staatsoberhaupt Liechtensteins: In der «SonntagsZeitung» bezeichnet er die Steuersysteme in Deutschland und in der EU als ungerecht, denn wer sich den besten Steueranwalt leisten könne, zahle am wenigsten. Diese Länder müssten das Steuersystem vereinfachen und die Steuern senken – dann wären die Bürger auch ehrlicher, so der Erbprinz.
In der Schweiz planen derweil die Chefs der Bewegung «Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz» (Auns) das Referendum gegen das Steuerabkommen. Gegenüber dem «SonntagsBlick» sagt der Auns-Präsident und Schwyzer SVP-Nationalrat Pirmin Schwander, der Staatsvertrag sei ein massiver Eingriff in die Schweizer Neutralität und schalte die Rechtsordnung aus. Die Auns-Mitglieder wollen gemäss Schwander am 28. April an ihrer jährlichen Versammlung darüber abstimmen.“
Fazit: Fernab des politschen Geschäfts wird aus rechtlicher Sicht wohl die Diskussion erneut aufkommen, wie weit Behörden bei der Strafverfolgung gehen dürfen und ob der Zweck jedes Mittel heiligt.